Die Aphrodite von Knidos
Eine Statue sorgt für Furore
Die Meeresgeburt der Liebesgöttin
«Hier entstieg sie, die schöne gefeierte Göttin, und Kräuter blühten empor um den niedlichen Fuss. Sie wird Aphrodite, schaumentsprossen (…) drum von den Göttern genannt und Sterblichen, weil sie vom Schaume herstammt (…)»
Hesiod, Theogonie 193–198
Aphrodite ist aus den Samentropfen des Himmelsgottes Uranos im Meeresschaum nahe Zypern geboren und in der Nähe der Stadt Paphos den Fluten entstiegen, wo ihr die Menschen im Altertum ein Heiligtum errichteten. Der Legende nach betrat die schöne Göttin das Land der Menschen an einem Strand mit einem markanten Felsbrocken, der heute auch als «Aphrodites Rock» bekannt ist.
Das Aphrodite-Heiligtum von Knidos
«Kaum waren wir in die Nähe des Heiligtums gekommen, als uns aphrodisische Düfte von dort entgegenwehten. Der Fussboden der Vorhalle war (…) vollständig mit lebenden Bäumen und Sträuchern bepflanzt (…). Nachdem wir uns an dieser Pflanzenpracht sattsam erfreut hatten, betraten wir das Innere des Tempels.»
Pseudo-Lukian, Erotes 11,1–13,1
Aphrodite ist die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sexuellen Begierde. Als ursprüngliche Vegetationsgottheit ist sie auch für alle Arten der Fruchtbarkeit zuständig. In Knidos an der kleinasiatischen Küste (heutige Türkei) verehrten sie die Seefahrer als Euploia («Behüterin der guten Reise»), weil sei dem Meer entstammt. Die Knidier bauten ihr ein Heiligtum mit einem Rundtempel, in dem die berühmteste Kultstatue der antiken Welt stand.
Die Kultstatue von Knidos
Das Antikenmuseum besitzt mit dem Marmortorso eine der römischen Kopien, durch die die Aphrodite von Knidos überliefert ist.
Torso der Aphrodite, Marmor, römische Kopie nach einem Werk um 340 v. Chr., Antikenmuseum Basel, Lu 236
«(…) an erster Stelle aller Werke, nicht nur derer des Praxiteles, sondern auf dem ganzen Erdkreis, steht seine Aphrodite, zu der viele nach Knidos fuhren, um sie zu sehen.»
Plinius, Naturkunde 34, 20
Um 340 v. Chr. schuf Praxiteles, einer der bedeutendsten Bildhauer seiner Zeit, die Kultstatue von Knidos. Das Original ist nicht erhalten, dafür Kopien, die von der Beliebtheit der Statue v. a. in römischer Zeit zeugen. Unsere Gartenskulptur zeigt Aphrodite im Moment vor dem Bad, wie sie ihr Gewand auf ein Wassergefäss gleiten lässt. Sie ist die erste grossplastische Darstellung eines nackten weiblichen Körpers – eine Sensation in der antiken Welt! Zahlreiche Besucher strömten nach Knidos, um die nackte Göttin zu sehen, die zu einer Touristenattraktion avancierte. Zahlreiche Legenden entstanden über die Statue.
Die Legenden um die «Knidia»
Weil die Kurtisane Phryne behauptete, gleich schön wie Aphrodite zu sein, wurde sie wegen Gotteslästerung angeklagt. Ihr Anwalt erwirkte aber einen Freispruch, indem er Phryne vor den Geschworenen entblösste. So konnten sie sich mit eigenen Augen von ihrer Schönheit überzeugen.
Der Legende nach hatte Praxiteles ein Verhältnis mit Athens bekanntester Kurtisane namens Phryne. Sie soll Modell für die knidische Aphrodite gestanden haben, weil ihre Schönheit der Göttin ebenbürtig war. Legendär ist auch der Besucher, der sich in Knidos in die kunstvoll bemalte Marmorskulptur verliebte und sich des Nachts im Tempel einsperren liess. Dort verbrachte er eine – sehr einseitige Liebesnacht – mit der Statue, von der eindeutige Spuren an deren Hinterteil zurückgeblieben sein sollen. Solche Anekdoten zeugen vom Eindruck, der die Statue auf die damalige Welt machte.
Technische Daten
Original
Datierung: römische Kopien nach einer Marmorstatue des Praxiteles um 340 v. Chr.
Material: Marmor
Fundorte: Rom, ehem. Slg. Colonna (Körper) und Tralles (Kopf)
Standorte: Vatikan (Körper) und Paris, Louvre (Kopf)
Höhe: 204 cm (inkl. Kopf)
Abguss
Kompositfigur mit Körper aus dem Vatikan und Kopf im Louvre
Hersteller: Effenberger, Form und Abbild, Dresden
Material: Gussmarmor
Literatur (Auswahl)
- K. Stemmer (Hg.), In den Gärten der Aphrodite, Ausstellungskatalog Berlin (2001) 92–94
- K. Seaman, Retrieving the Original Aphrodite of Knidos, Atti della Accademia Nazionale dei Lincei Rendiconti Classe di scienze morali storiche e filologiche, 2004, Ser 9, vol 15 fasc 3, 531–594
- K. B. Zimmer, Im Zeichen der Schönheit. Form, Funktion und Stellenwert klassischer Skulpturen im Hellenismus am Beispiel der Göttin Aphrodite (2014)
Abbildungsnachweis
Abb. 1 Aphrodite von Knidos, Gussmarmorabguss der römischen Kopie nach einer Marmorstatue des Praxiteles um 340 v. Chr.
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Abb. 2 Der «Petra tou Romiou» (Stein der Römer) oder Aphrodite’s Rock an einem Strand auf Zypern
Dimitris Vetsikas auf Pixabay
Abb. 3 Der Aphrodite-Tempel von Knidos
© Alamy Stock Photo
Abb. 4 Marmortorso der Aphrodite von Knidos, römische Kopie nach einer Marmorstatue des Praxiteles um 340 v. Chr., Inv. Lu 236
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Abb. 5 «Phryne vor dem Areopagus», Ölfarbe auf Leinwand, Gemälde von Jean-Léon Gérôme, 1861
© Alamy Stock Photo
Abb. 6 Aphrodite von Knidos, Gussmarmorabguss der römischen Kopie nach einer Marmorstatue des
Praxiteles um 340 v. Chr.
© Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig
Hesiod, Theogonie 193–198 übersetzt von L. M. West
Pseudo-Lukian, Erotes 11,1–13,1 übersetzt von Hans Licht
Plinius, Naturkunde 34, 20 übersetzt von K. Bayer und K. Brodersen